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25.06.2016

Internationale Ethik-Tagung 7./8. Juni Berlin: Wie verändert Pränataldiagnostik unsere Gesellschaft?

9 von 10 Kindern mit Down-Syndrom werden nach Pränataldiagnostik abgetrieben. Welche Folgen vorgeburtliche Untersuchungen für Menschen mit Behinderung und die gesamte Gesellschaft haben, damit setzte sich am 7. und 8. Juni 2016 eine internationale Ethik-Tagung in Berlin auseinander. Ausgerichtet hatte die Tagung die deutsche Bundesvereinigung Lebenshilfe gemeinsam mit der Lebenshilfe Österreich, der Schweizer Elternselbsthilfeorganisation insieme sowie mit dem Berliner Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft (IMEW).

Mit dieser Tagung sollte einerseits der aktuelle Stand der PND dargestellt werden, andererseits die dazu parallel laufenden gesellschaftlichen Entwicklungen einer stärkeren Einbindung von Menschen mit Behinderung. Über 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten sich angemeldet, darunter Ethiker, Mediziner, Fachleute der Behindertenhilfe, Politiker und Menschen mit Behinderung.

Für Ulla Schmidt, die Bundesvorsitzende der Lebenshilfe Deutschland und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, ist der hohe Anteil der Schwangerschaftsabbrüche besorgniserregend. „Wir leben heute in einer Gesellschaft, die Menschen mit Behinderung so viele Teilhabemöglichkeiten bietet wie nie zuvor. Doch wird gleichzeitig mit immer feineren Methoden der Pränataldiagnostik regelrecht nach ihnen gefahndet. Das passt einfach nicht zusammen“, erklärte Schmidt laut Presseaussendung der Lebenshilfe zur Tagung. Besonders problematisch ist dabei der neue Bluttest auf Down-Syndrom, er war bei der Berliner Ethik-Tagung ein wichtiges Thema.

Germain Weber, Präsident der Lebenshilfe Österreich und Dekan der Fakultät für Psychologie der Universität Wien sagte: „Die Lebenshilfe Österreich fordert dazu seit langem eine breit angelegte öffentliche Debatte um die Kernfrage: Wie steht unsere Gesellschaft zu einem Leben mit Beeinträchtigung und zur vollen gesellschaftlichen Teilhabe behinderter Menschen? Vorgeburtliche Untersuchungsmethoden wie PID oder Blut-Gentest tragen dazu bei, dass Beeinträchtigungen in unserer Gesellschaft weiter nur als Defizit gesehen und dadurch ausgegrenzt werden."

Die Lebenshilfe Österreich fordert auf Basis der UN-Behindertenrechtskonvention die Umsetzung der Inklusion, also die selbstverständliche Einbeziehung von Menschen mit Beeinträchtigungen in sämtlichen Bereichen des täglichen Lebens.

Dabei stehen zwei Grundansätze zur Ethik zur Debatte: Einerseits sei unsere Gesellschaft zunehmend bereit, in Inklusion zu investieren, wie es die UN-Behindertenrechtskonvention und der Nationale Aktionsplan Behinderung vorschreiben. Das sei die Basis einer nicht-exklusiven Ethik. Andererseits solle gleichzeitig in die Vermeidung behinderten Lebens investiert werden. Das erfolge auf der Basis einer Ethik der Exklusion, der Aussonderung. „Hier erleben wir einen Widerspruch, der uns zum Nachdenken, zum Debattieren und zum Handeln zwingt“, so Weber.

Zur Eröffnung sprach Caren Marks, Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Sie wünscht sich, „dass sich Eltern zuversichtlich auch für ein Kind mit Behinderungen entscheiden können, weil sie Gewissheit haben, dass Teilhabe an unserer Gesellschaft jedem Kind mit all seinen Besonderheiten offensteht. Dafür setzen wir uns im Bundesfamilienministerium mit der Inklusiven Lösung für alle Kinder mit und ohne Behinderungen ein.“

Der Berliner Schauspieler Sebastian Urbanski hielt einen Vortrag darüber, wie er mit dem Down-Syndrom lebt. Er sagte: „Ich leide nicht am Down-Syndrom. Ich bin für ein Miteinander, das alle einschließt.“

Ein neuer Test, der sogenannte Praena-Test, hat Menschen wie Sebastian Urbanski im Visier. Zu einem frühen Zeitpunkt der Schwangerschaft wird das Blut der Frau auf das Down-Syndrom hin untersucht. Zurzeit wird geprüft, ob dieser neue Test flächendeckend von den gesetzlichen Krankenversicherungen bezahlt werden soll, manche bieten ihn sogar schon jetzt als Kassenleistung an.

„Der Praena-Test darf keinesfalls als Routineuntersuchung angeboten werden. Er vermittelt den Eindruck, es sei ein perfektes Kind möglich. Ethisch hoch problematisch gefährdet er die Akzeptanz von Menschen in all ihrer Unterschiedlichkeit“, so Ulla Schmidt. Hinzu komme die nicht unerhebliche Zahl der falsch-positiven Testergebnisse – „das heißt, der Test zeigt eine Behinderung an, obwohl das Kind nicht behindert ist“, so die Lebenshilfe-Vorsitzende Deutschlands.

Weitere Informationen:

Programm der Internationalen Ethik-Tagung „Aktuelle Entwicklungen der Pränataldiagnostik und Inklusion: Zusammenhänge und Widersprüche“